05 Der Überfall in Nidwalden im Jahre 1798


Zweites Kapitel
Religiöse Bedenklichkeiten

Erster Titel

… Nr. 5. „Die natürliche Freiheit des Menschen ist unveräusserlich. Sie ist nur durch die Freiheit eines anderen eingeschränkt, und durch gesetzmässig erwiesene Absichten eines allgemeinen notwendigen Vorteils.“

…Nr. 6. „ Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt. Jedoch soll die die öffentliche Äusserung der Religionsmeinungen den Gesinnungen der Eintracht und des Friedens untergeordnet sein. Alle Gottesdienste sind erlaubt, wenn sie die öffentliche Ordnung nicht stören, und keine Oberherrschaft noch Vorrang behaupten wollen. Die Polizei hat ein wachsames Auge auf selben hat das Recht, sich über ihre Lehrsätze und über ihre Pflichten, zu welchen sie anhalten, zu erkundigen. Die Verhältnisse einer Sekte mit einer fremden Obrigkeit sollen weder auf die Staats Sachen, noch auf den Wohlstand und die Aufklärung des Volkes einen Einfluss haben.“

…Nr. 7. „ Die Pressefreiheit rührt von dem Rechte her das Jeder hat, Unterricht zu erhalten“ usw.

Dritter Titel

…Nr. 24. „Ein jeder Bürger, wenn er vollkommen zwanzig Jahre alt ist, muss sich in das Bürgerregister seines Kantons einschreiben lassen, und den Eid ablegen: „“ seinem Vaterlande zu dienen und der Sache der Freiheit und Gleichheit als ein guter und getreuer Diener mit aller Pünktlichkeit und allem Eifer, so er vermag, und mit einem gerechten Hass gegen Anarchie oder Ausgelassenheit anzuhangen““ usw.

Bemerkung: Weitere, die Religion betreffende Artikel, werden später erwähnt.

Suche nach der Vernunft:

Es hiess: „Die sittlichen Grundsätze dieser helvetischen Konstitution von 1798 sind im Grunde, in Sinn und Form und in ihrer Wesenheit die gleichen, wie jene der französichen vom Jahre 1791 usw. Und eben so gleich sind auch die beiden Bürgereide.“

Nun sind aber die sittlichen Grundsätze der französischen Verfassung mit ihrem Bürgereide vom Jahre 1792 von der katholischen Kirche verdammt und verworfen.“

Es müssen also auch die sittlichen Grundsätze des Entwurfes der Helvetie mit ihrem Eide vom Jahre 1798 verdammt und verworfen sein.“

Zwei Dinge sind es nun, die das Volk von Nidwalden für seine Rechtfertigung zu beweisen hat, nämlich:

Die Gleichheit der Grundsätze und der Bürgereide und die kirchliche Verdammung und Verwerfung derselben.

Der Versuch des Beweises der beiden Dinge:

Wesentliche Gleichheit

der sittlichen Grundsätze der helvetischen Staatsverfassung vom Jahre 1798 mit jenen der französischen Konstitution vom Jahre 1791, nebst ihren Bürgereiden.

A) Artikel der helvetischen Konstitution (H.K.) vom Jahre 1798

V. Artikel. „Die natürliche Freiheit des Menschen ist unveräusserlich. Sie hat keine anderen Grenzen, als die Freiheit eines Anderen und gesetzmässig erwiesene Absichten eines allgemeinen Vorteils.

N.B. Auch die Rüttimannische Erklärung der H.K. Ist in diesem Grundtext: nur durch das Gesetz usw. Sehr getreu und lautet: „Was das(politische) Gesetz nicht verbietet, ist Allen erlaubt. Was es aber verbietet, ist Allen verboten.“

I. Bruchstück des VI. Artikels der H:K: 1798:

Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt. Jedoch soll die öffentliche Äusserung der Religionsmeinungen den Gesinnungen der Eintracht und des Friedes untergeordnet sein.

II. Bruchstück des VI. Artikels.

Die Polizei hat ein wachsames Auge auf sie (die Gottesdienste und Religionsdiener) und das Recht, sich über ihre Lehrsätze und über ihre Pflichten zu erkundigen.“

III. Bruchstück des VI. Artikels. „ Die Verhältnisse einer Sekte mit einer fremden Obrigkeit sollen weder auf die Staatssachen, noch auf den Wohlstand und die Aufklärung des Volkes einen Einfluss haben.“

N.B. Es war bloss aus Klugheit geschehen, in diesem Artikel sich nicht so weit herauszulassen, als in dem gegenüberstehenden französischen Passus. Aber dass der päpstliche Nuntius Petrus Gravina im Monat Mai 1798 innerhalb 24Stunden Luzern verlassen musste; dass die Gesetzgeber eigenmächtig in den von der Kirche gesetzten Ehehindernissen dispensierten usw. macht klar genug, wie die Worte des Artikels zu verstehen seien.

VII. Artikel der H.K. 1798 „ Die Pressefreiheit rührt von dem Rechte her, das Jeder hat, Unterricht zu erhalten.“ N.B. Wir haben aber auffallende Beispiele, dass dieses Recht nur Jenen vergönnt worden, welche wider die christliche Religion und die guten Sitten schrieben. Man konnte die begünstigten und unterdrückten Schriften und Autoren ausweisen.

III. Titel. 24. Artikel. „ Ich schwöre, dem Vaterlande zu dienen, und der Sache der Freiheit und Gleichheit, wie auch der der repräsentativen Verfassung der Einheit der helvetischen Republik als ein guter und getreuer Bürger mit aller Pünktlichkeit und allem Eifer, so ich vermag, und einem gerechten Hass gegen Anarchie und Zügellosigkeit anzuhangen.“ N.B. Wer sieht nicht, dass in diesem Eide alle bürgerlichen und sittlichen Grundsätze der ganzen helvetischen Staatsverfassung künstlich, wie einem Mittelpunkte vereiniget und aufgefasst sind, und dass Peter Ochs diesen Bürgereid von jenem in Frankreich fast von Wort zu Wort abgeschrieben hat?

B) Artikel der französischen Konstitution vom Jahre 1791.

Die Menschen werden frei und an Rechten gleich geboren, und verbleiben solche. Der zur Gesellschaft gehörige Unterschied kann sich nur in dem allgemeinen Nutzen gründen.“

Wiederum Artikel IV. „ Die Freiheit besteht darinm dass man Alles, was dem Nächsten nicht schädlich ist, tun könne. Die Ausübung der natürlichen Rechte jedes Menschen weiss um keine andere Grenzen, als jene, die den übrigen Gliedern der Gesellschaft den Genuss eben dieser Rechte zusichern. Diese können nur durch das Gesetz bestimmt werden.“

V Artikel: „Das Gesetz ist nur berechtigt, in der Gesellschaft nachteilige Handlungen zu verbieten. Was immer vom Gesetze nicht verboten wird, kann nicht gehindert werden. Und Niemand kann zu dem gezwungen werden, ws es nicht befiehlt.“

X. Artikel der französischen Konstitution vom Jahre 1791. „ Niemand soll seiner Meinung halben, auch im Fache der Religion belästigt werden, wenn nur ihre Bekanntmachung die vom Gesetze errichtete öffentliche Ordnung nicht stört.“

XV. Artikel: „Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem öffentlichen Agenten (oder Beamten) (Hiemit auch vom geistlichen Vorsteher) seiner Verwaltung wegen Rechenschaft zu fordern.“

IV. Artikel. „Es wird jeder Kirche oder Parrei Frankreichs und jedem französischen Bürger verboten, in was für einem Falle, und aus welchem Vorwande es sein mag, die Gewalt eines Bischofs oder Erzbischofs, dessen Stuhl in der Herrschaft eibner fremden Macht errichtet ist, oder das Ansehen ihrer Abgeordneten, sie mögen in Frankreich oder anderswo ihren Sitz haben, anzuerkennen“ usw. N.B. Was für Bischöfe die Franzosen aber haben wollten, und wie lange, erhellt aus den Worten Mirabeau’s: „man muss,“ sagte er, „dem Volke einen Schatten von Religion lassen, bis man Bischöfe im Sinne der Revolution hat, und dann wird es leicht sein, die Dogmen der Religion abzuschaffen.“

XI. Artikel der franz. Konstitution von 1791. „Die freie Mitteilung der Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Rechte des Menschen. Jeder Bürger kann demnach frei reden, schreiben, drucken. Jedoch wird er wegen des Missbrauchs dieser Freiheit in den vom Gesetze bestimmten Fällen sich zu verantworten haben.“

I. Formel des französischen Bürgereides: „Ich schwöre der Nation, dem Gesetze und dem Könige getreu zu sein, und aus allen meinen Kräften die Konstitution des Reiches aufrecht zu erhalten, die durch die konstituierende Nationalversammlung in den Jahren 1789, 1790 und 1791 dekretiert worden ist.“

II. Formel des französischen Bürgereides v. 14 Augustm. 1792. „ Ich schwöre der Nation treu zu bleiben, die Freiheit und Gleichheit zu schützen und zu verteidigen, undfür ihre Verteidigung zu sterben.“ Die späteren Eidesformeln wären überflüssig, hier folgen zu lassen.

Es gäbe noch weitere Vergleiche. In Frankreich hätten sich 132 von 136 Oberhirten und 40’000 von 42’000 Seelsorgern geweigert, die Bürgereide zu leisten. Diese wendeten sich an den Heiligen Stuhl. Dieser entschied, dass Geistliche die sich arrangierten mit Kirchenstrafen belegt werden sollen. Auch wurden diese wiederholt zum Widerruf aufgefordert.

Verdammungsurteile (die wichtigsten Auszüge)

der katholischen Kirche über die sittlichen Grundsätze der französischen Staatsverfassung von 1799, wie auch über den Bürgereid derselben

Breve vom 10. März 1791

a. Über die Grundsätze

Papst Pius VI. Schreibt am 10. März1791: „Man sieht offenbar, dass die von diesem Konvent vorgeschützte Freiheit und Gleichheit dahin ausgehe, die katholische Religion zu Grunde zu richten. Die Ordensstände hat man unterdrückt, ihre Güter an sich gerissen, damit hinfüro niemand da wäre, der die Völker von dem Irrtume und der Sittenverderbnis zurück riefe“)

*) Siehe Hulots lateinische Sammlung der Breven 2.Teil, Seite 229, Augsburg 1796.

b. Über den Bürgereid.

Die Breve vom 10. März 1791 an den König Ludwig XVI. Enthält über den Bürgereid folgende merkwürdige Stelle: „Damit es also offenbar werde, dass die Bischöfe eine gute Sache verteidigten, mussten Wir die Konstitution, wovon die Rede ist, mit fleissigster Betrachtung untersuchen, wodurch Wir gänzlich dahin gelangt sind, dass Wir es für deutliche erachten, das Brandmahl eines Irrlehrers könne von Jenem nicht vermieden werden, welcher sich immer dem Bürgereid bestricket hat, indem er dadurch solche Dinge verspricht, in denen ein Zusammenhangvon Ketzereien enthalten ist.“

Breve vom 13. April1791

a. Über die Grundsätze

Pius VI. Griff die französische Staatsverfassung scharf an. Er vertritt die Auffassung, dass sie aus einer Irrlehre stamme, ketzerisch und der katholischen Lehre zuwider wäre, gegen die alte und neue „Kirchenzucht“ sei und zum Ziel habe, die katholische Religion abzuschaffen.

b. Über den Bürgereid

Der Bürgereid wäre eines jeden Katholiken ganz und gar unwürdig, weil dieser aus einer „gifttigen Quelle stamme und als Ursprung aller Irrtümer zu bezeichnen sei

Breve vom 10. Mai 1791

Pius VI warnte alle Christgläubigen vor der „gelegten Schlinge“und weist darauf hin, dass die Katholische Kirche gestürzt werden soll.

Pius VI fügte in seinem Antwortschreiben vom 28. Mai 1793 durch den Kardinal Zelada von Lukon die Warnung bei: „Die Geistlichen und Weltlichen, welche den Eid geleistet haben,sollen gewarnt werden, dass sie ihrem Gewissen genüge tun, weil es nicht erlaubt ist, im Zweifel zu schwören.“

Die Kirchenoberen setzten alles daran, dem Volk klar zu machen, dass alles was aus Frankreich komme des Teufels sei.

In einem Sendschreiben vom 5. Weinm. 1793

erklärte Pius VI: „Diejenigen, welche den Eid der Freiheit und Gleichheit nach der Vorschrift der im Monat Hornung 1793 kundgemachten Proklamation leisteten, worin ausdrücklich die Beobachtung der Dekrete des Nationalkonventes gefordert wird, haben sich im geistlichen Recht wider die Begünstiger und Anhänger der Ketzerei und Kirchenspaltung festgesetzten Strafe schuldig gemacht. Deshalb müssen sie auch die in unserer Breve vom 19. März 1792 vorgeschriebenen Bedingungen erfüllen, wenn sie die Lossprechung erhalten wollen, weil jene Dekrete durch unsere Breve vom 13. April 1791 teils als ketzerisch, teils als schismatisch erkannt worden sind.

Pius VI vom 19. April 1792: „ Das Urteil des apostolischen Stuhls wider die französichen Konstitution sei nicht nur in Frankreich, sondern in allen Herrschaften der katholischen Fürsten bekannt gemacht worden.“

Meine Einschätzung: Die Nidwaldner wurden von den Klerikern mit Verweis auf die religiösen Gepflogenheiten sorgfältig manipuliert und für ihre Ziele missbraucht. Aus dieser Sicht scheint mir das Werk von Pfarrhelfer Franz Joseph Gut ein Versuch, mit allen möglichen Begründungen die Geistlichkeit aus der Verantwortung zu ziehen!

Die schlechten Früchte der Konstitution zeugten wider sie

Nicht nur um die Freiheit, sondern um die Religion zu kommen sei die Furcht gewesen, so der Autor. Katholische Geistliche, die sich aus Frankreich in die Schweiz abgesetzt hatten, waren geeignet, die ansässigen Kleriker in ihren Absichten zu unterstützen und die Angst zu schüren. Geschichten über Geschehnisse in Frankreich hatten ihre Wirkung. Vom kommenden Heidentum, der Abschaffung der Religion, ermordeten Priestern, aufgehobenen Klöstern mit Beschlagnahme deren Besitzes usw. war die Rede. Franzosen wurden Gotteslästerern gleich gestellt. Die Kleriker wussten ihre Gründe für die religiösen Bedenklichkeiten vorzubringen.

Auch andere Kantone trugen religiösen Bedenklichkeiten

Es ist dem Autor gelungen, Bedenklichkeiten religiöser Art nicht nur in anderen Kantonen, selbst beim protestantischen Kirchenrat in Bern, sondern auch im Ausland aufzufinden. So z. B. Christian Daniel Voss, Prof. in Halle, in seiner Schweizergeschichte von 1805

«(…) Auch Besorgnisse betreffend Religion kamen zur Sprache, alle Priester, alle wichtigen Teilnehmer und Freunde, der einen wie der anderen Partei besorgten, dass wie alle alten politischen und bürgerlichen Verhältnisse aufgelöst und unter einander geworfen würden, dieses auch mit den religiösen und kirchlichen der Fall sein, und dass man hier dasselbe prinzi der Gleichheit oder Gemeinschaft zur Ausübung bringen würde, was man dort so eifrig exekutieerte. Die Aufhebung der Klöster und die Einziehung der geistlichen Güter musste als Folge von der Einführung der Konstitution befürchtet werden, die auf französischen Grundsätzen errichtet war (S.38)

Neue Bedenklichkeit

Was die Nidwaldner und ihre Seelsorger, wahrscheinlich eher mehr die Seelsorger, betreffend der Ochs’schen Konstitution verunsicherte war der Umstand, dass diese ohne Abänderung nach «Geist und Buchstabe» angenommen werden musste.

«(…) Das französische Direktorium schrieb am 28. April 1798 an die neue helvetische Regierung in Aarau: «Das Vollziehungsdirektorium hofft, Peter ochs, der Autor der helvetischen Konstitution werde fortfahren alle Kräfte dahin anzuwenden, seinem vortrefflichen Werke auch in der Schweiz Substistenz zu verschaffen, und vorzüglich aller Abänderungen desselben kraftvoll zu widerstehen. Denn es ist deutlich, und offenbar, dass jede Abänderung des in seiner Konstitution ausgedrückten und festgesetzten Sinnes, und der Zeit, von Niemand anders als von Feinden der helvetischen Republik herrühre,…

Wüste Geschichten aus Frankreich waren geeignet, die Stimmung zu beeinflussen. Die Ermordung der Schweizergarde in Paris, Zerstörung von Tron und Altären usw. schürten die Angst vor dem Feind.

In Nidwalden wie in den anderen Lankantonen wie Uri, Schwyz, Obwalden, Glarus und Appenzell, waren es ein paar alteingesessene Familien, welche das politische Geschehen bestimmten. Die Landsgemeinde hatte eher formellen Charakter. Es wurde die Regierung gewählt und es wurde über wichtige Angelegenheiten abgestimmt. Da wo die weltliche Macht aufhörte, griff der Klerus ein. Die Landleute, welche in Familien eingebettet waren, mussten spuren. Das bedeutete auch, den «Kopf tief halten». Das Agrarland brachte kaum genügend Lebensgrundlage hervor. Wer nicht spurte, wurde verdrängt. Der Umgang miteinander war vermutlich unzimperlich und direkt. Nicht umsonst zog es junge Leute zum Reislauf. Andere wanderten aus.

Fortsetzung folgt


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