Klassenvereinigung 42/43 Beckenried, wer erinnert sich?
Otto war von Beruf Sattler. Gelernt hat er den Beruf im Kanton Luzern. Später arbeitete er bei der Firma May in Beckenried, danach auch bei der Firma Stübben in Stans und später auch im «Länzgi» bei der Migros in Stans.
Militär: Otto war im „Schützen 12-i“, dem Nidwaldner Bataillon als Soldat und da im Rep Zug (Mot.Mech, Sattler, Schneider, Schumacher, Waffenmech usw.) von Oblt Charles Sieber eingeteilt. Dieser Repzug sei so etwas wie der belächelte „Glögglizug“ gewesen, weil einige „spezielle“ Typen dort eingeteilt waren. Später war er auch Of Ordonanz im Stab. Er sei nicht immer der Einfachste gewesen! Sein Team im Rep Zug war u.a. für die Ausgabe des Ersatzes von defektem oder verlorenem Material zuständig. Damit man möglichst keine Formulare mit Begründungen für Ersatzmaterial schreiben musste, überliessen die Schlaumeier die Truppe ihrem Schicksal. Die Gesuchsteller wurden stets abgewimmelt mit der Begründung: „Mièr hend neyd da, kä Matrial!“
Dem Feldweibel fiel schnell auf, dass da einige kaum etwas zu tun hatten. So wurden sie dazu verknurrt, die Baracken (auf dem Glaubenberg) zu heizen und das Holz dafür zu rüsten. Die Tschiferen trugen sie nicht am Rücken, sondern sie zogen sie, gefüllt mit Holz, über den Schnee her. Als es Otto beim Holzspalten mit seinen zwei linken Händen (was das Holzspalten betraf), mit der Axt den Holztotz verfehlte, passierte es. Die Axt flog am Spaltstock vorbei direkt in den Schuh. Zum Glück war nicht viel Energie drinn. So gab es keine Verletzung. Im Gegensatz zu anderem defekten Material war Otto sofort mit neuen Schuhen ausgerüstet. Es war also Material vorhanden! Ob er danach die „Lederbehandlung“ vornahm, weiss heute niemand mehr. Ging es ins Manöver, war Otto sehr zurückhaltend und die Angst begleitete ihn.
Freizeit: Er interessierte sich für Fussball. Im Buochser Seefeld kannte man ihn als „Stammzuschauer“. Auch auf der Luzerner Allmend war er anzutreffen. Ansonsten verfolgte er den den Skisport und anderes. Er hatte es mit Sir Winston Churchill der gesagt haben soll: „no sport“ (kein Sport)! Sein Vater animierte seinen Jüngsten zum Eintritt in die Feldmusik. Es war nur ein kurzes „Gastspiel“! Otto hatte es nicht mit der „Muisig“! Als Hungacher-Bewohner besuchte er regelmässig die Minigolfanlage, allerdings ohne zu spielen, wo es immer bei einem Cola einen Schwatz mit den Angestellten gab.
Reisen, war ein anderes Interesse. Er nahm an verschiedenen organisierten Fahrten (Busunternehmen) teil.
Otto war motorisiert. Mit seinem „Rutscherli“, einem Kreidler Florett, war er für seine Bedürfnisse mobil genug. Man traf ihn oft in Buochs im Kreuzgarten als „der Schweigsame“ an.
Dass der stets geschnigelte und sauber gekleidete Schulbub ein Aussenseiter und ein Einzelgänger war und, dass er von seinen Schulkollegen immer wieder gehänselt und geplagt wurde, ist hinlänglich bekannt. Eine „Richtstätte“ befand sich auf dem Schulweg durchs „Röhrli“ an der Rückwand beim alten Gebäude der Molkerei Münger. „Otti“ war ein dankbares Opfer, weil er sich nicht wehren konnte! Sein Selbstvertrauen war nicht stark entwickelt, dafür die Ängstlichkeit ausgeprägt. Diese begleitete ihn sein Leben lang. Wer meint, der in sich gekehrte Otto sei total wehrlos gewesen, wurde gelegentlich eines anderen belehrt. Er hatte „seine“ Waffen um den anderen Menschen den Meister zu zeigen und er setzte sie ein. Wenn er etwa mit den eingesammelten Einkaufswägeli durch die Menge steuern musste, geriet er wegen dummen Leuten, die seinen Weg immer und immer wieder versperrten, in Rage. Sie sollten doch ihr „Geschnorr“ anderso abhalten. Wo käme man da hin? Er steuerte sein Fahrgut diskret aggressiv direkt in die Leute hinein. Sie sollten spüren, dass sie dumm, rücksichtslos und blöd waren. Selber war er es ja nicht, sondern der vorderste Wagen….! Das ging so, bis es nicht mehr ging. Die Reklamationen waren stärker!
Otto hatte eine strenge Mutter (s› Stärtemattli-Agi). Sein Vater war als Vorarbeiter bei der Murer Franz AG, da im Steinbruch Risleten und später in der Werkstatt im Neuseeland tätig. Er war Sportschütze und Mitglied der Musikgesellschaft. Das traf sich gut für Otto. Sein Arbeitgeber nach der Lehre war die Firma May in Beckenried. Er war bei Othmar May im Einsatz. Albert May war ebenfalls Sportschütze. So wurde wohl sein Job als Sattler elegant und ohne viel Aufwand von Mann zu Mann unter Kollegen eingefädelt.
Die Familie Niederberger wohnte lange Zeit im kleinen Häuschen am oberen Mühlebach, welches einst wegen der Führung der Zugangangsstrasse zur Autobahn A2 abgebrochen werden sollte. Die Garage war schon weg, als Einhalt geboten wurde. Die Linienführung wurde geändert, das Haus blieb stehen, bis heute. Die Familie begab sich deswegen in ein neues Haus, ganz in der Nähe des bisherigen. Hier wurde für Otto eine separate Wohnung eingerichtet, wo er sich wohl fühlte. Er war ein ruhiger, zurückgezogener Mitbewohner, kochte selbst, kam und ging, wann er wollte. Man liess ihn machen. So war seine Welt in Ordnung.
Sein Bruder Herbert, Jg. 1936, von Beruf Huf- und Wagenschmied, gelernt beim „Bodenrotli“ in der Stanser Schmiedgasse, war 45 Jahre bei der Franz Murer AG tätig, altersmässig war er schon etwas distanziert zu Otto. Die beiden gingen unterschiedliche Wege. – Die Kontakte zur Schwester Elsbeth Jg. 1938, gest. 2019, hielten sich in Grenzen, Sie war auswärts verheiratet.
Als Kind war Otto oft mit „Jäggis“ Theres zusammen, weit herum offenbar das einzige Gespänlein, Ursula (Ursili) Camadini war schon zu weit weg, wie jene vom unteren Mühlebach (Aschwanden, Christen, Marcel Müller) auch.
Ein Unfall mit seinem „Töff“ (Otto fuhr von hinten auf ein bremsendes Auto auf), war Ursache für den Einzug ins Alterswohnheim Hungacher in Beckenried. Dort begab er sich kaum unter die Leute. Aber er wusste immer, was er wollte und er gab den Pflegenden auch mal den „Tarif“ durch, wenn er eher mehr als gelegentlich „ausflippte“, was nicht gut ankam. Gery Amstad hat Otto dort während 6 1/2 Jahren regelmässig besucht und begleitet. Er weiss, dass sein „Klient“ äusserst wortkarg und oft auch „störrisch“ war.
Sie gingen zusammen auch aus um etwa ein Bier zu trinken. Emmetten, Seelisberg, Niederbauen, Buochs, Ennetbürgen waren also die Orte, wo man sich hin begab. Das Treffen fand immer am Dienstag um 10 Uhr statt. Gery hatte pünktlich zu erscheinen, sonst stand Otto wartend im Gang mit der Bemerkung: «Chuisch ändli». Bier trank er anfänglich nur am Nachmittag im Nidwaldnerhof, später Cola. Cola bis zu seinem Ableben!
Bevor abgefahren werden konnte, liess sich Otto sein Ritual nie nehmen. Ein „Poschettli“ (Einstecktüchlein), Ottos Markenzeichen, musste ins Gilettäschli, die Brille samt Etui gehörte dazu, obwohl man nichts zu lesen hatte und die Geldbörse durfte nicht fehlen, auch dann, wenn er kein Geld brauchte. Was sein musste, das konnte nicht anders sein! Am Zyschtigskaffee war Heinz Schwarz, der Kollege vom Hungacher stets mit dabei. Gery sorgte dafür. Auch Schoggi mochte er. Nicht ungern. Gery: Am Morgen gingen wir in die Beiz zum Kaffee mit Chräpfli (war Otto und mir wichtig). In Ennetbürgen begrüsste uns zuletzt die Serviertochter im Sternen jeweils mit «d’Chräpflibuebä chemid» und jeder bekam zwei Stück. Unser letzter Ausgang ging im Januar 2019 in den Hirschen nach Buochs. Immer dabei war Heinz Schwarz, welcher im Altersheim frühstückte und dort auch das Mittagessen einnahm. Er gab sein Chräpfli mit der Zeit jeweils wegen seinem «Zucker» an Otto weiter. Diese wurden von ihm im Schnellverfahren verdrückt.
Böse Zungen würden sagen: der zum alten, oder „linggsglismèten“, „eischieren“ (eigensinnigene Bub gewordene hatte halt seine Marotten. Wer hat keine? Otto blieb zeitlebens ledig. Nicht alle Menschen die ihm begegneten empfand er als schlecht. Otto hatte schon seine Ideale: Beim Besuch auf der Bank wollte er nur von Alice Locher bedient werden. Er zeigte sich enttäuscht, wenn sie einmal nicht nicht da war.
Die Schulklasse zählte 1950 beim Start 47 Kinder! Die noch junge Sr. Pia Franziska schaffte es, allen die nötige Aufmerksamkeeit abzukaufen!
Das Gehen bereitete Otto die letzten drei Jahre immer mehr Mühe. Es endete nach dem Rollator im Rollstuhl. Seine Kräfte nahmen stetig ab. Er spürte offenbar, dass eine Veränderung bevorstand. Er hatte Angst und er rief sehr oft um Hilfe, auch dann, wenn sein Betreuer Gery anwesend war. Er bewegte sich kaum noch und wirkte apathisch. In der Nacht zum 12. November schloss er die Augen für immer.
Sein Jahre langer Begleiter „Gery“ hatte es nicht immer leicht. Heute jedoch „wässerlets“ bei ihm leicht, wenn er an Otto denkt. Die Mühe war nicht umsonst gewesen! Gery ist daran gewachsen. Er hat eine wertvolle Lektion für sich gewonnen! Otto würde es ihm bestimmt herzlich verdanken, denn Gery war ein sicherer Anker für ihn!
Nachrufe werden nicht für die Verstorbennen geschrieben, sondern für jene die geblieben sind und zur Beruhigung ihres Gewissens. Otto hätte eine grössere Aufmerksamkeit zu Lebzeiten verdient. Im Nachhinein wissen wir es besser!
Adieu Otto, die meisten von uns haben dich nie richtig verstanden. Wir stehen dazu! Wir weinen nicht, im Wissen, dass du uns nur ein wenig vorausgegangen bist. Du würdest es uns kaum übel nehmen! Wir hoffen jedoch sehr, dass du jetzt auf der «Wolke Sieben» in einem bequemen, purpurroten Plüschsessel genüsslich und geniesserisch zusehen kannst, wie wir uns weiterhin abrackern…
D› Schuèlgschpane, Meitli und Buèbè vo dè Klassè 42/43 und Gery vo Beggrièd!
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Zum Bericht haben beigetragen: Herbert Niederberger mit seiner Gattin, Gery Amstad, der Otto regelmässig besuchte, Beata Amstad, Tony Birrer, Meinrad Grüniger.
- *Fotos: Gery Amstad
- Verfasser: Herbert Odermatt