Peter Anderegg, Dübendorf NZZ 07. 01. 2020
Modellbögen
Ich bin bald vierzig Jahre als Werk- und Zeichnungslehrer sowie Sozialpädagoge tätig. Die besagten Modellbogen («Bau mir eine Welt aus Karton», NZZ 28. 12. 19) waren eigentlich ein treuer Begleiter durch all die Jahre. Ich habe aber in den letzten acht bis zehn Jahren bemerkt, dass die Schüler nicht mehr in der Lage sind, einen solchen Bogen zu bearbeiten. Die manuellen Fähigkeiten, das dreidimensionale Denken und das Interesse fehlen einfach.
Als Kind warenfür mich die Modellbaubogen z.B. von «Marga» wahres, gefundenes Fressen. Ich bekam sie jeweils von meiner Tante, die einen kleinen Laden führte. Schere, Klebstoff (Cementit) gelegentlich einige Stecknadeln und ein paar Wäscheklammern und ein Karton als Arbeitsunterlage umfassten das nötige Werkzeug. Schnell war begriffen, wie die Seiten eines Hauses zu falten und zu kleben waren und auch das Dach bekam seine exakte Position. kamen Erker in Frage, wurde es etwas anspruchsvoller. In meiner Klasse gab es wenig Kameraden, die auch «Hüsli» zusammen klebten. Sie hatten gröbere Arbeiten zu erledigen. Etwa die Mithilfe in Stall und Feld oder das Richten von Brennholz. Letzteres war u.a. auch eine meiner Aufgaben. das «Hüsli kleben» verlor seinen Reiz, als der Metallbaukasten Stockys Nr. 4 für meinen Bruder unter dem Christbaum lag. Er bekam ihn, ich spielte intesnsiv damit. Es kam noch ein Getriebkasten dazu. Der Fantasie waren keine Grenzen gesetzt.
All dies förderte das Räumliche Denken und Innovationsfähigkeit. Die von Stockys vorgeschlagenen Lösungen wurden nur teilweise und am Anfang nachgebaut. Es folgten bald geänderte Modelle und eigene Kreationen.
Es war wohl nicht zufällig, dass ich den Beruf eines Mechanikers erlernte und später auch erfolgreich am Reissbrett tätig war. In beiden Tätigkeitsgebieten war das räumliche Denken Voraussetzung und eigene Ideen waren gefordert. Das räumliche Vorstellungsvermögen war auch in der Fliegerei Voraussetzung!
Während der Lehre gab mir mein Gruppenführer in der Werkzeugmacherei den Auftrag eine Vorrichtung für die Serienfertigung eines Elementes für den Pilatus Porter zu bauen. Ich setzte meine Idee um, probierte und es kam das gewünschte Teil zum Ausurf. Dann trat ich vor den Gruppenführer Toni Lussi und zeite zufrieden, was ich gebaut hatte. Vorerst staunte er über den Apparat. Dann probierte er diese aus. Das Endprodukt entsprach. Dann kam die «kritische Würdigung»: «Du hast die Aufgabe erfüllt, dafür gehört dir ein Lob. Aber ich verlangte eine Vorrichtung und keine Maschine!» Gemeinsam überarbeiteten wir meine «Maschine» zu einer wirksamen Vorrichtung! Danch erfur ich: «weisst, die beste Vorrichtung ist jene die aus Nichts besteht. Nur aus Nichts wird nichts. Verstehst, was ich meine?» Ich verstand: «So einfach wie möglich!»
Er erinnerte sich an eine Aussage von Antoine de Saint Exupéry: Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann.
Trotzdem kam es einst vor, dass der Mechaniker im Musterbau anrief und sagte: «Am Reissbrett sieht es wohl sehr schön aus….!»
Wenn wir heute beklagen, dass gewisse Grundfähigkeiten verloeren gehenso hat dies womöglich mit veränderten Angeboten zu tun:
Ich sehe es nicht so extrem und ich habe ein Beispiel dafür. Mein Smartphon, ein chinesischer Exot konnte irgend etwas nicht. So zog ich zum SwisscomLaden und nach einigen Versuchen und Telefonaten wurde mir bedeutet, dass ich am Besten zum Geschäft nach Luzern fahre. Gesagt getan. Nun konnte ich wieder Mails schreiben. Doch danach war es nicht möglich, geöffnete Artikel ausser dem Titel zu lesen! Gut waren meine Grosskinder aus Far East zu Besuch. Sie nahmen sich der Sache kurzerhand an, suchten im Internet, und schon bald war die ursprüngliche Funktion voll da!
Es ändert sich Vieles mit der Zeit. Mitmeinemdamaligen Schulrucksack würde man heute die Möglickeiten, die ich hatte niemals erhalten! Mo
dellbaubögen möchten dies kaum zu überwinden. Trotzdem wäre es wünschenswert, dass manuelle Fertigkeiten, dreidimensionales Denken und das Interesse dazu geweckt werden könnten.
Wenn heute ein Drittsekler eine Körperdiagonale bei gegebenen Grundseiten nicht mehr berechnen kann, dann fehlt es doch an etwas!