Lothar vom Stamm der Wikinger I

Ersetzt den Bericht vom 5. August 2016

Die Zeit, die sich ausbreitet, ist die Zeit der Geschichte. Die Zeit, die hinzufügt, ist die Zeit des Lebens. Und beide haben nichts gemeinsam, aber man muss die eine nutzen können wie die andere.  Antoine de Saint Exupéry, 1900-1944, französischer Flieger und Schriftsteller. Er spricht mir von der Seele, hätte «unser» Wikinger gesagt!

Lothar Gehring – ein ehemaliges Mitglied der SG Nidwalden

Im Zusammenhang mit der Aufarbeitung einiger Themen zur Geschichte der SG Nidwalden und der Suche nach Fakten, und dem verschollenen SGN-Segelfliegerlied liess mich an Lothar denken. Es wäre gut möglich gewesen, dass er daran «mitgedichtet“ hätte! Ausserdem könnte er doch noch etwas zur damaligen Zeit erzählen. Nun, letztmals sah ich ihn im Herbst 1959, und danach nochmals 1959 oder war es 1960? Die Stichworte Nähe Saarbrücken, Strasse, Hausnummer und Ingenieur waren im Computer über meinem Hals noch auszumachen. Ich suchte im Internet und wurde fündig. Ich versuchte es mit einem Anruf. Bingo! Wally, seine Frau nahm ab! Welche Überraschung! Leider konnte ich Lothar nicht erreichen, da er bereits verstorben war! Erinnerungen tauten auf, als wäre alles gestern gewesen! Nun, alles der Reihe nach.

Als ich im Frühjahr 1959 zur SG Nidwalden stiess, war Aschi (Ernst) Zgraggen + mit der Revision des S-18, HB-287, beschäftigt. Mitten im Sommer gelang es Aschi, mit dem gutmütigen Segelflugzeug im Downwind einer Platzvolte in die Vrille zu fallen! Es war das Ende des HB-287! Aschi kam mit ein paar Kratzern davon – zum Glück. Dreitausend Franken musste er dem Kassier bezahlen! „Gälled Sie, das tued weh!“ meinte der Sektionskassier Kurt Ettel +, dem schon lange nicht mehr so viel Geld auf einmal in die Kasse gespült wurde! Später wurden die Überresten ein Opfer von „Züsli, Zünd, Brändli und Äschlimann“ – dem Feuerteufel. Im alten Gruppenbuch ist es festgehalten.

S-18, HB-287, Abbrand  S18, HB- 287, zu Ehren Ernst Zgraggen, der auf Urlaub aus seinem Englandaufenthalt kurz bei der SGN hereinschaute (Gruppenbuch der SGN, Zeichnung: odh)
Der Oberstift Edi Korner links zeigt dem Greenhorn Herbie wie! Reparatur am Sporn des Spyr Va, HB-509 (Blid odh)

Das Flugzeug wurde verbrannt. Schade eigentlich, denn innwändig sah das Flugzeug gut erhalten aus. Wäre es ein Spyr gewesen, am Wiederaufbau wäre nicht gezweifelt worden! Aber ein Spalingerflugzeug….? Die Konstrukteure August Hug (Spyrflugzeuge) und Jakob Spalinger (S-Flugzeuge) hatten das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Dies kam hier mehr oder weniger deutlich einmal mehr zum Ausdruck. Uns jungen Flieger wäre es egal gewesen, ob Spyr oder S, Hauptsache etwas, was fliegt!
Kameradschaft ist, wenn der Kamerad schafft (arbeitet).
Der Doppelsitzer Spyr Va lag auf dem Schragen und so war ich dazu verdammt, bis in den Herbst hinein die Winde zu bedienen, das Seil auszuziehen, Signalflaggen zu bedienen, Nagelleisten anzufertigen , Sperrholz anzuschäften und bei Reparaturarbeiten zu assistieren. Edi Korner, ein Modellbauer der Sonderklasse war im Baulokal mein „Oberstift“.

Er wusste wie und er zeigte es mir. August Hug, der Konstrukteur des Flugzeuges kontrollierte unsere Arbeit persönlich und er achtete darauf dass nur Holz vom Spruce (Sitka-Fichte) und fünffach verleimtes Sperrholz in Flugzeugqualität zum Einsatz kamen.  Makkaronenkistenholz wäre nicht sein Ding gewesen!

Edi Korner, link,s zeigt „wie“! Wir klebten noch mit Kaltleim (Kasain)! Hier wird der Sporn des Spyr Va HB-509 repariert. Ursache für den Schaden: Ein „Surri“ beim Start durch Fluglehrer Sepp Ming mit einem Schüler.  Kurz darauf schafften es Attila Ziermann, Fluglehrer und Werner Fleig, Schüler und  Pilatus-er(!) ganze Arbeit zu hinterlassen. Sie liessen den rechten Flügel während des Starts ins hohe Gras und niemand klinkte das Seil aus! Die Winde zog kräftig was sich letztlich in der Struktur des Rumpfes bemerkbar machte. Selbst der Hauptspant war stark beschädigt.

«Am 10. Mai 1959 drittet sich das zweite!» Die Schlafmützen Attila Ziermann + und Werner Fleig +, Zeichnung Edi Lischer +, Gruppenbuch SGN

Bild (odh): Werner Fleig +, repariert einen Teil des selbst verursachten Schadens. Werner war ein Arbeitskollege von Lothar. Seine Markenzeichen waren ein schweres, grünes Motorrad, Marke Zündapp, 750 ccm,  und eine hellbraune Lederjacke. Werner ist später mit einem Motorsegler RF 4, in der Nähe von Konstanz abgestürzt und dabei ums Leben gekommen.

Die Reparateure, inkl. Lothar! – Skizze: August Hug, Gruppenbuch SGN

Da Edi und ich, beide Stifte bei Pilatus waren, streiften wir zur Znünizeit einmal „geschäftlich“ in die Halle 2, wo einer unter dem DH-112 „Venom“ hockte und eben daran war, seine Vivi Cola – Flasche durch die Öffnung der Stuka (Luftbremse am Flugzeug Venom) „anzustützen“. Dabei verzog sich sein Suppenschlitz bis fast zu den Ohren und kurz darauf ertönte der Spruch: „Und schlägt der Arsch  auch Falten, wir bleiben stets die Alten!“ Er hatte offenbar eine etwas strengere Nacht hinter sich! Lothar Gehring!

Wer war Lothar Gehring?

Lothar, geb. am 29. August 1931 kam aus St. Ingbert-Rohrbach in der Nähe von Saarbrücken. Er hielt sich mehrmals beruflich in der Schweiz auf. So war er als Mechaniker einmal in Uster und später bei  den Pilatusflugzeugwerken in Stans  tätig. Später, während des Studiums kam er auch in den Semesterferien hie her.  Ansonsten war er ein Weltenbummler. Seine Frau Wally lernte kennen was es heisst: „Wer oft weg geht, kommt oft nach Hause!“ Lothar wurde 62 1/2-jährig.  Mit Wally, der Tochter Jutta und mit den vier Grosskindern hatte er es gut.

Der St. Ingeberter Anzeiger schrieb in der Nr. 207 vom Do. 9.9.1976:

Lothar Gehring, Weltreisender und Pfadfinder

rö. St. Ingbert-Rohrbach. „(…) Zu behaupten er sei weit gereist, ist eher eine Untertreibung als zuviel gesagt: Lothar Gehring, 45 Jahre alt, kennt Afrika und Südamerika, so wie die anderen Leute bestenfalls nur die Pfalz oder das Elsass. Er ist ständig unterwegs für eine Saarbrücker Landmaschinenfabrik und unterweist an Ort und Stelle die Einheimischen in der Nutzung der Maschinen. Also ist er einer von denen, die durch ihren Beruf die Welt kennen gelernt hat? Weit gefehlt, der Drang ins Ausland ist älter als seine Position in der Firma. Lothar Gehring hat nämlich noch einen „Nebenberuf“, er ist Pfadfinder. Und als solcher bereist er seit 1947 das Ausland. Fahrten nach Frankreich, England und Holland folgten ganz grossen Touren wie die zum Jamboree, dem Weltpfadfindertreffen, das 1955 in Kanada stattfand.

Lothar Gehring, Bild E. Dillmann

Fahrten ins Ausland sind immer faszinierend und gehören auch deshalb zum Angebot von Pfadfindergruppen. Beeindruckender als fremde Sitten und imponierende Sehenswürdigkeiten ist für die Gruppen aber immer der Kontakt mit den Menschen. „Ich habe keine schlechten Menschen kennen gelernt!“, sagt Lothar Gehring, und er hat viele Menschen getroffen.

Bei all der Tätigkeit im Ausland blieb ihm stets noch genügend Energie,um zu Haus aktiv zu sein. Die Rohrbacher Pfadfinder, deren Vorsitzender er schon jahrelang ist, ebenfalls: Ein wichtiges Stück der Jugendarbeit im Saarland hat er entscheidend mitgeprägt. Das Theodor-Jansen-Heim am Pfeiferwald ist der unverrückbare Beweis dafür, denn unter seiner Regie wurde es erstellt.

Pfadfer vom Stamm der Wikinger,1951 Worldjamboree in-Bad-Ischl, Lothar in der Mitte; Bild : rohrbach-nostalgie.de

Im Laufe der Jahre ist es zum Treffpunkt für viele Gruppen geworden, auch für Gruppen aus dem Ausland, und damit schliesst sich der Kreis: Völkerverständigung auf der Ebene der Jugendverbände, begonnen in einer Zeit, in der nicht jede deutsche Gruppe im Ausland gern gesehen war, und Partnerschaft mit fremden Völkern auf der Ebene der technischen (und auf friedliche Ziele ausgerichteten) Entwicklungshilfe. Die Erfahrungen aus der Zeit der seiner grossen Pfadfinderfahrten, vor allem die Erkenntnis, dass Völkerverständnis nur möglich ist, wenn man sie selbst aktiv betreibt, sind zum Leitfaden für seine tägliche Arbeit im Ausland geworden. Und ganz praktisch hat er auch von den Pfadfindern profitiert: Die ersten brauchbaren Fremdsprachenkenntnisse erwarb er sich während der ersten Fahrten nach dem Kriege. )“  Die Geschichte der Rohrbacher Pfadfinder vom «Stamm der Wikinger bietet einen vertieften Einblick in das Wirken  dieser Pfadfinder.

Wegen den oft längeren Aufenthalte in Afrika veranlassten den Arbeitgeber zur Ansicht,   dass zu lange Abwesenheit einer Ehe nicht gut bekomme. So reiste sein Frau Wally mit und machte ihre Erfahrungen während zwei Jahren im schwarzen Kontinent an der Elfenbeinküste. Er verkaufte die Produkte seiner Firma, der Traktorenfabrik Gutbrod und instruierte das Personal. Die beruflichen Anstrengungen in Afrika (Senegal, Mali, Nigeria, Elfenbeinküste) brachten unterschciedliche Resultate. Trotz eingehender Instruktion lebten die Maschinen meist nicht lange. Sie wurden gebraucht, bis sie stehen blieben. Es wurde vergessen Öl nach zu füllen oder es wurde nicht korrekt gewartet und unterhalten… Die Einheimischen vor bald 60 Jahren waren  weder schulisch, noch von den Erfahrungen her gerüstet um die sie überschwemmende Technik zu stemmen. Derweil andere «gute Geschäfte» machten, was man heute durchaus anders deuten kann.

Lothar war nicht nur für den Vertrieb der Produkte seines Brotgebers zuständig. Er verhandelte mit Regierungen und Vertretern der dortigen Wirtschaft, um die Produkte seiner Firma einzuführen. Er schien auch da stets den Zugang zu den wichtigen Menschen, aber auch zu jenen, die in der Hierarchie eine untergeordnete Rolle zu spielen hatten. Die Erfolge waren Zeugnis dafür. Schliesslich schickte ihn sein Arbeitgeber in alle Welt. So kam er nach Russland, Saudi Arabien, Irland, in die skandinavischen Staaten und auch nach Süd Amerika.

Trotz stetem Wandel auf fremden Pfaden war unser Freund ein Familenmensch. Jutta, die Tochter lebt Vaters Streben und Beharrlichkeit nach. Sie studierte Sprachen, wurde schliesslich Kauffrau. Heute ist sie Unternehmerin und als solche in die Firma Ropimex in Neunkirchen eingebunden. Diese exportiert ihre Produkte in über 60 Länder. Geerbte Gene?

Den Weltenbummler zog es immer wieder in die Ferne. So war auch die Schweiz eine Destination. Er war erst einmal in Uster, wo er sich sofort den Pfadfindern anschloss. Seine Faszination zur Fliegerei brachte ihn 1956 nach Nidwalden und da zu den Pilatus Flugzeugwerken. Da die „Pilatus“ von Segelfliegern verseucht war, traf er schnell auf diese Sippe, die das Festen ebenso intensiv betrieb wie das Fliegen. Das Magnet «Aviatik» wirkte! Dies ist auch aus der zurückgelassenen Bibliothek ersichtlich. Nebst dem «Aeronautcal Englisch – Wörter und Handbuch der Luftfahrt» finden sich viele, damals aktuelle Fliegerbücher, auch Raritäten wie etwa «Bordbuch eines Verkehrsfliegers» von Walter Ackermann, «Mit der Windrose im Knopfloch» von René Gardi, «Die Strasse der Piloten» von C.C. Bergius und sogar das Büchlein von Hallwag, «Fliegen» von Ernst Wetter und viele andere. Wie nicht anders zu erwarten, wusste auch der junge Lothar um die Werbung für die militärischen Fliegereliten. «Vom Pimpf zum Flieger»  von Günter Elsner und Karl Gustav Lerche war ihm bekannt. Es dürfte ihm nicht entgangen sein, dass man «Ab zehn Jahren ein Pimpf sein musste»! Pimpf bezeichnet auch einen Jungen vor dem Stimmbruch. Ein Pimpf war auch ein Mitglied des Deutschen Jungvolks. Das «Jungvolk» war die Vorstufe der HJ. bzw. der Flieger -HJ. Das damalige Umfeld war so aufgebaut, dass der Druck bis hinab in die kleinsten Gruppen enorm war. Die «Freiwilligkeit» stand im Vordergrund. Die Propaganda war total. Das Zuckerbrot liess die Peitsche vergessen. Wer wagte es schon, ein Aussenseiter zu sein? Einer meiner früheren Chefs erzählte uns freimütig, was ihm die FHJ bot. Abseits zu stehen wäre für ihn fast unmöglich gewesen. Lothar war jedoch von anderm Holz geschnitzt und von einem tiefen Gerechtigkeitssinn geprägt. Militärdienst war ihm ein Greuel. Er hätte sich kaum einziehen lassen!

Mit seinem trockenen Humor und der Affinität zur Fliegerei wurde er schnell Mitglied der Segelfluggruppe Nidwalden. Lothar stand vor einem neuen Tor zur Welt, der Fliegerei. Sein Interesse dokumentiert sich u.a. an den gesammelten Bildern, den mehrmaligen Aufenthalt bei Pilatus («Flugzeugunterhalt»), den Dienst bei Lufthansa in Hamburg (Abt. WFL) und schliesslich der Mitgliedschaft der Sektion Nidwalden des schweizerischen Aero Clubs. Beruflich brachte er einiges mit: Er war gelernter Maschinenschlosser, hatte den REFA-Schein und bildete sich weiter bis zum grad. Masch. Ingenieur. Schliesslich wurde ihm auch das Diplom zum dipl. Ing. erteilt. In der Freizeit war er den Pfadfindern verpflichtet.

Mehr im nächsten Bericht: Lothar vom Stamm der Wikinger II


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