Frei nur ist, wer seine Freiheit gebraucht


Der folgende Artikel wurde gesehen in: Schweizer Monatshefte, Sonderthema, Mai/ Juni 2009

Soll Völkerrecht Landesrecht brechen?
Robert Nef

Editorial

Wir leben in politisch spannenden Zeiten! Spannende Zeiten auch für Zeitschriften wie die «Schweizer Monathefte». Wir greifen mit Vorliebe Themen auf, die in anderen Medien oft zu kurz kommen, aber das Potential haben, unser aller Leben nachhaltig zu verändern. Mit
unseren Sonderpublikationen wollen wir neu schneller reagieren und Fragen vertiefen, für die in der Zeitschrift der Platz nicht reicht.
Diese Publikation widmet sich einem solchen Thema mit Relevanz- und Veränderungspotential: dem schwierigen Verhältnis von Landesrecht und Völkerrecht. Robert Nef, Jurist, Publizist und SMH-Autor, hat einen Text verfasst, der das Verhältnis differenziert beleuchtet; er mündet in 20 Thesen, die die Zuspitzung nicht scheuen. Dabei ist die Stossrichtung klar: nicht alles, was dem Begriff des Völkerrechts subsumiert wird, hat dieses Prädikat auch verdient. Nur allzuoft handelt es sich dabei um Recht, das in wenig transparenten Verfahren internationaler Gremien zustande kommt.
Widerspruch ist nicht nur erlaubt, sondern erwünscht. Wie immer man auch im einzelnen zur Idee eines umfassenden Völkerrechts stehen mag, lässt sich doch die Frage nach seiner demokratischen Legitimation nicht ausblenden – gerade in einem Land, das stolz ist auf seine direktdemokratische Tradition.

Wir wünschen anregende Lektüre!

Die Herausgeber 

Die Schweiz, die Souveränität und die Demokratie
Eine Einleitung in das Gutachten

René Scheu

Die Schweiz ringt um ihre Souveränität. Der internationale Druck nimmt laufend zu. Vordergründig ärgern sich Finanzminister über Besonderheiten des helvetischen Steuersystems. Unterschwellig ist es aber wohl eher Neid, was sie umtreibt – der Neid auf den trotz finanzkrise noch vorhandenen wirtschaftlichen erfolg und auf die direktdemokratischen Traditionen der Schweiz. Zugleich archaisch und avantgardistisch, wirken sie für jede zentralisierte Bürokratie wie ein Stachel im Fleisch.

Es sind diese Traditionen, die im Inland zwar rhetorisch weiterhin hochgehalten, faktisch aber zunehmend unterlaufen werden. Was bedeutet dies für den Rechtsstaat Schweiz? wenn ausländische Exekutivbehörden, Verwaltungsbeamte oder internationale Gerichte neue Gesetze erlassen, die unter dem Titel «Völkerrecht» laufen – muss die Schweiz dann dieses Recht automatisch übernehmen? Die unverfänglich gestellte Frage wirft eine Reihe von Problemen auf, die Robert Nef, Autor der «Schweizer Monatshefte», in einem staatspolitischen Gutachten thematisiert.

Erstens: man spricht zwar stets von «dem» Völkerrecht, doch handelt es sich dabei um ein sehr heterogenes, schwer durchschaubares juristisches Konstrukt. Was beispielsweise die Menschenrechte anlangt, gibt es drei Generationen, die auf gänzlich unterschiedlichen Prämissen beruhen und auch nicht alle einklagbar sind (die Palette reicht von den Freiheitsrechten über die justiziellen Menschenrechte bis hin zu den sozialen Rechten, die in einem Recht des Kindes auf Liebe gipfeln).

Zweitens: es lässt sich global die Tendenz einer Verlagerung der politischen Entscheidungsgewalt von der Legislativen (Volk und Parlament) über die exekutive (Regierung und Administration) zur Judikativen (internationale Gerichtshöfe) beobachten. Muss die Schweiz Recht übernehmen, das auf solchem Wege zustande gekommen ist?
Immanuel Kant schrieb in seinem Aufsatz «Was ist Aufklärung?»: «Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst ein solches Gesetz auferlegen könnte?»
 
Drittens: in der nachgeführten Bundesverfassung von 1999 heisst es in Art. 5 Abs. 4: «Bund und Kantone beachten das Völkerrecht.» Der Passus ist zweideutig gehalten und also interpretationsbedürftig. Dass sich die Schweiz an «zwingendes Völkerrecht» (ius cogens) hält, ist unbestritten (dazu zählen das Gewaltverbot, das Folterverbot, Völkermord oder die elementaren Menschenrechte). Wie aber darüber hinaus zu verfahren sei, ist eine offene Frage. Rechtsprechung und Lehre tendieren dazu, dem Völkerrecht einen Vorrang vor dem Landesrecht einzuräumen. Doch müsste die Frage – nach schweizerischer Tradition – öffentlich behandelt werden, im Rahmen eines politischen Willensbildungsprozesses.

Das Gutachten ist von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) in Auftrag gegeben worden. Der Autor greift darin jedoch Fragestellungen auf, die von allgemeinem, parteiübergreifendem Interesse sind und die ihn in den letzten Jahren in zahlreichen Beiträgen in den «Schweizer Monatsheften» immer wieder beschäftigt haben. Gerade weil der Jurist und Publizist Robert Nef der gängigen Auffassung vieler Völkerrechtler widerspricht, hat das Gutachten das Potential, eine längst fällige Diskussion anzuregen. Wir wollen diese Diskussion mit Beiträgen aus wissenschaftlicher Sicht in den nächsten Ausgaben der «Schweizer Monatshefte» vertiefen. Denn soviel ist gewiss: sie wird uns auch auf politischer Ebene in den nächsten Monaten und Jahren begleiten. 

Zusammenfassung des staatspolitischen Gutachtens
Robert Nef

Das Gutachten macht 10 Feststellungen zur heutigen Lage und Wahrnehmung des Völkerrechts:

1. Der hohe Stellenwert des humanitären Völkerrechts für die Schweiz und die bedeutenden Beiträge unseres Landes zu seiner Weiterentwicklung sind unbestritten.

2. Das Völkerrecht hat sich im letzten Jahrhundert in der Schweiz als eigenständige juristische Disziplin formiert und spezialisiert. Dadurch besteht die Gefahr eines unter Insidern (an Universitäten, in der Bundesverwaltung und bei den funktionären internationaler Organisationen) gepflegten Selbstverständnisses, das zur Dogmatisierung und zur Verabsolutierung neigt.

3. Kritische Beobachter haben die Aufgabe, auf die politischen Komponenten des ganzen Fragenkomplexes hinzuweisen. Die Strapazierung an sich richtiger Prinzipien kann auch zu deren Diskreditierung bei einer breiteren Öffentlichkeit führen.

4. Das Völkerrecht befindet sich an einer Schnittstelle zwischen reiner Machtpolitik, der Politik und dem Recht internationaler Organisationen, zahlreicher überlappender völkerrechtlicher Verträge und der Rechtsprechung internationaler Gerichtshöfe.

5. Wir stehen heute an einem Punkt, an dem eine unbegrenzte und nicht mehr kontrollierbare Übertragung von Kompetenzen an wenig legitimierte internationale Organisationen zu Lasten der demokratisch verankerten Landesgesetzgebung im Gang ist.

6. Die friedensstiftenden und den Welthandel begünstigenden Auswirkungen des Völkerrechts werden durch seine unbeschränkte und zum Teil demokratisch unkontrollierte Ausdehnung auf Kosten der nationalstaatlichen Gesetzgebung, tendenziell mehr geschwächt als gestärkt.

7. Die von Wissenschaftlern, Diplomaten und internationalen Gerichten entwickelten internationalen Normen können nur wirksam umgesetzt werden, wenn sie sich auf das Grundsätzliche beschränken und im nationalen Recht ihren Rückhalt haben.

8. Differenzierung tut not. In der Kritik steht nicht das Völkerrecht als ganzes, sondern seine demokratisch unzulänglich legitimierte Fortschreibung in den letzten Jahrzehnten. Es geht um eine Besinnung auf den harten, unantastbaren Kern und um die Infragestellung einer politisch unkontrollierten Aushöhlung der nationalen Souveränität und der schrittweisen Ausserkraftsetzung des Subsidiaritätsprinzips und der Neutralitätsmaxime. 

9. Der vorbehaltlose Vorrang des Völkerrechts vor dem Landesrecht darf und soll in Frage gestellt werden. Her ist auf politischem Weg ein neues, ausgewogenes Verhältnis zu finden, das dem schleichenden Verlust an nationaler Souveränität verlässliche Grenzen setzt.

10. Völkerrecht ja, aber nicht unbegrenzt und nicht im Widerspruch zu unserer historisch gewachsenen, freiheitlichen und demokratisch legitimierten rechtlichen und politischen Grundordnung. Das Gutachten macht insbesondere auf die folgenden 6 Problemkreise aufmerksam:

1. Die Entwicklung des Völkerrechts verläuft heute in Richtung vermehrter Zwangsdurchsetzung von oben; darauf sollten alle Zentralismusskeptiker durch politischen Gegendruck reagieren. Das Subsidiaritätsprinzip ist innerstaatlich und zwischenstaatlich institutionell schlecht verankert, und die politischen Kräfte, die sich gegen alle Tendenzen zur Zentralisierung, zur Internationalisierung und zum Souveränitätsverlust der bürgernäheren überschaubaren Gemeinschaften stemmen könnten, sind nicht wirksam organisiert und repräsentiert.

2. Das Völkerrecht kann keinen vorbehaltlosen und unbeschränkten Vorrang beanspruchen. Der Vorrang des zwingenden Völkerrechts vor dem Landesrecht ist mit derselben Formulierung in der Bundesverfassung verankert wie die Beachtung der Subsidiarität. Während beim Subsidiaritätsprinzip die Ausnahme immer mehr zur Regel wird, sinkt die Bereitschaft, beim Primat des Vöklerrechts dort Ausnahmen zu machen, wo andere Verfassungsbestimmungen dies verlangen würden. Nur zwingendes Völkerrecht hat Vorrang. Der als «zwingend» zu betrachtende Kern ist so klein und so hart wie möglich zu definieren. Die Definition ist nicht Sache der Fachleute des Völkerrechts, sondern als Wertungsfrage Gegenstand der politischen Willensbildung. An der sogenannten «Fall-Schubert»-Rechtsprechung ist unbedingt festzuhalten. Das Prinzip ist in Richtung eines grundsätzlichen Vorrangs des demokratisch legitimierten, später erlassenen und spezielleren Gesetzes zu verfestigen.

3. Menschenrechte garantierten ursprünglich den Schutz der Freiheit vor Staatseingriffen.
Heute tendieren Gerichtshöfe dazu, die gegenüber vielfältigen politischen Anliegen geöffneten Kataloge zu klagbaren Leistungsansprüchen an den Staat umzudeuten. Menschenrechte bilden keine homogene Einheit. Sie sind heute ein politisches Einfallstor für etatistisches, ökologistisches und kollektivistisches Gedankengut. Das gefährdet auch den unverzichtbaren Kerngehalt des Respekts vor der Menschenwürde.

4. Die aussenpolitischen Maximen im Zielviereck Neutralität, Solidarität, Universalität und Disponibilität sind als alternative zum schrittweisen Integrationsmodell, zum wuchernden Bilateralismus und zum schwammigen, in sich widersprüchlichen Prinzip der aktiven Neutralität wieder zu entdecken und weiter zu entwickeln. Die Schweiz sollte sich in viel stärkerem Ausmass – auch finanziell und diplomatisch – für die Idee des IKRK engagieren. Es trifft nicht zu, dass die Neutralität des IKRK nichts mit der Neutralität der Schweiz zu tun hat.

5. Die Völkerrechtslehre sollte sich von der Vorstellung lösen, dass die schrittweise Relativierung der Souveränität und die zunehmende Zwangsdurchsetzung des Völkerrechts von oben, d.h. von internationalen Organisationen und Gerichten, einem unausweichlichen und positiv zu bewertenden Trend entspricht. Globale politische Strukturen sind anfällig für die Beeinflussung durch organisierte Macht und Sonderinteressen mit politischem, technokratischem, religiösem und ökonomischem Hintergrund. Es ist gefährlich, von einer Weltregierung zu träumen, die auf globaler Ebene sogenannte «Wirtschaftsmacht» kontrollieren soll. Eine Weltregierung würde höchstens das Wachstum von Weltlobbies beschleunigen und neue unkontrollierbare Kooperations-und Koalitionsformen begünstigen. Ähnliches gilt von einem Weltkartellamt oder von einer Welt-Börsenaufsicht. Wer zentralisiert, zentralisiert immer auch die Anfälligkeit für Irrtümer und für mehr oder weniger subtile Formen der Korruption. Jedes Grosssystem wird verletzlicher und verliert an Lernfähigkeit, Innovationsfähigkeit, Immunität und Robustheit.

6. Die Gefahren des zunehmender Stellenwerts internationaler Gerichte sind zu erkennen und zu bannen. Die internationale Verrechtlichung der Politik führt nicht nur zu einer Politisierung der internationalen Justiz, sondern auch zu einer Aushöhlung nationalstaatlicher Souveränität und zu einer empfindlichen Störung bei der gegenseitigen Machtkontrolle im Rahmen der Gewaltenteilung. Sie steht im Konflikt mit dem traditionellen Staats-und Verfassungsverständnis eines grossen Teils unserer Bevölkerung. Wenn das Völkerrecht zum Instrument einer internationalen Bürokratie und Expertokratie wird, dessen Weiterentwicklung weitgehend in den Händen internationaler Funktionäre und Gerichte liegt, verliert es zunehmend an Ansehen. Das gefährdet letztlich auch seine Akzeptanz in jenem humanitären und handelspolitisch notwendigen Kernbereich, den es auch aus freiheitlicher Sicht zu bewahren gilt. 

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