Rückkehrer – vom Handlanger zum Firmenchef


 

«der arbeitsmarkt» | 01.06.2011 | Text: Kujtim Sabani, Fotos: Robert Hansen

«…) Als Gastarbeiter tragen sie zum Wohlstand der Schweiz bei. Als Rückkehrer in ihre Heimat bauen sie mit ihren neu erworbenen Kenntnissen ein neues Mazedonien mit auf. Vier Erfolgsgeschichten.

Produzent von Armierungsstahl

Kasam Kasami lehnt sich in seinem gepolsterten Ledersessel zurück. Als Direktor sitzt der 57-Jährige mit Anzug und Krawatte an seinem Schreibtisch. Seine Firma produziert Armierungseisen, das er in Mazedonien verkauft und in den Kosovo, nach Serbien und Albanien exportiert. Den Stahldraht importiert er aus der Ukraine und aus der Türkei. 22 Männer beschäftigt er, 500 Euro bezahlt er ihnen monatlich, inklusive der Abgaben an die Sozialversicherungen. «In meiner Firma wird wie in der Schweiz gearbeitet», sagt Kasam Kasami stolz. Auf Pünktlichkeit legt er grossen Wert.

Armiereisen aus Kasamis Produktion

Kasam Kasami öffnet das Fenster, durch das er aus seinem Büro direkt in die mächtige Fabrikhalle schauen kann. Er zeigt auf eine vollautomatische Schweissmaschine, die er kürzlich aus Österreich importiert hat. Ohrenbetäubender Lärm dringt in das Zimmer. Fingerdicker Stahldraht wird auf einen dünneren Durchmesser gepresst und erhält damit eine grössere Festigkeit. Funken sprühen. Ein Schweissautomat fertigt Eisengitter, die später in einem Betonbau verwendet werden. Ein Arbeiter füttert das Ungetüm mit neuem Draht.

Seine Karriere hat Kasam Kasami in einem der grössten Textilunternehmen des damaligen Jugoslawien begonnen. 1984 kam er mit Hilfe seines Schwagers in die Schweiz, um für seine junge Familie finanziell besser sorgen zu können. Zu Beginn arbeitete er als einfacher Betriebsmitarbeiter in einem Maler- und Gipserbetrieb, später wurde er Gruppenleiter. Seine Familie kam 1990 nach. 1996 kehrte er mit etwas Startkapital in der Tasche in seine Heimatstadt Tetovo zurück und gründete mit einem Gastarbeiter aus demselben Dorf die Firma «Zgjimi», einen mazedonischen Pionier in der Armierungseisenbranche. 2001 übernahm er den Betrieb und nannte ihn später «Eurozgjimi». Damit will er auf europäische Qualität hinweisen. In Albanien eröffnet er derzeit eine Vertretung. Auf die in der Schweiz erworbene Erfahrung ist er stolz. In Mazedonien ist er ein angesehener Unternehmer.

In die Schweiz reist er noch oft. Drei seiner Brüder sind geblieben – auch sein ältester Sohn. Diesen und seine drei Enkelkinder vermisst er besonders. Deshalb hat er für ihn auf dem Betriebsgelände ein Tochterunternehmen gegründet: eine private Motorfahrzeugkontrolle. «Mein Sohn ist Mechaniker von Beruf.» Auch ein Haus will er ihm bauen, wenn er ihn so zur Rückkehr nach Mazedonien bewegen kann. Dabei stellt Kasam Kasami seiner Heimat keine Bestnoten aus: «Neue Unternehmer werden nicht unterstützt, eher verhindert. Ich musste eineinhalb Jahre warten, bis mir ein Staatsbeamter vom Innenministerium zugeteilt wurde, der für die Zertifizierung der Motorfahrzeugkontrollen zuständig ist. Die Bürokratie ist ein grosses Problem, Korruption ist weit verbreitet. Und das Zinsniveau bei Geschäftskrediten liegt bei 14 Prozent», zählt er einige Gründe auf, weshalb ein Neustart mit Hindernissen behaftet ist. Sein Weg hat trotzdem zum Erfolg geführt: «Dank meiner Zeit in der Schweiz konnte ich mir das alles aufbauen.»

Ziegelei aus der Schweiz

Auf dem weiss gekachelten Boden des Bürogebäudes sind verschiedene Sorten Ziegel gestapelt. «Das ist ein Schweizer Modell. Es hat kleinere Löcher und ist aus deutlich mehr Material gebrannt. Diese Ziegel sind hier sehr beliebt», sagt Nevzat Ramani.

  Nevzat Ramani.

Der heute 45-Jährige hat sich nicht nur Schweizer Know-how nach Mazedonien geholt, sondern gleich eine ganze Ziegelei mit Ofen, Förderbändern, Gestellen und Presse. Ein Familienbetrieb in der Gemeinde Lufingen im Zürcher Unterland musste wegen Überkapazitäten und Preiszerfall die Ziegelproduktion 2002 einstellen. Der erhoffte Aufschwung kam nicht mehr. Der Geschäftsführer der Ziegelei verkaufte die Anlagen nach Mazedonien. Tonnen von Material kamen mit Bahn und Lastwagen in das Dorf Poroj bei Tetovo, in eineinhalb Jahren wurde die Ziegelei wieder aufgebaut und schliesslich 2006 wieder in Betrieb genommen. Den benötigten Lehm können die Unternehmer gleich auf dem eigenen Gelände abbauen lassen. Riesige Haufen rötlicher Erde liegen neben dem Fabrikgebäude bereit. «Vorsicht. Anlage läuft fernbetätigt. Auch zurzeit stillstehende Maschinen können jederzeit anlaufen!», steht auf einem gelben verbogenen Blechschild.

50 Mitarbeiter beschäftigt die Firma Mikeli, von Zilbear und Nevzat Ramani geleitet. Dazu gehört auch ein Betonwerk, das erste in der Region. Die beiden Brüder bezahlen mindestens den mazedonischen Durchschnittslohn von 250 Euro, bei gut gehenden Geschäften kommen bis 500 Euro Provision als Motivator hinzu. Trotzdem sei es schwierig, gut qualifizierte Mitarbeiter zu finden, beklagt sich Nevzat Ramani.

Geld war damals auch für den heute 51-jährigen Zilbear Ramani der Grund, sich im Alter von 19 Jahren in der Schweiz als Gastarbeiter zu verdingen.

Zilbear Ramani

Zuerst arbeitete er als Maurer und Kranführer, später in einer Staubsaugerfabrik, und er reinigte Industriekessel. Sein jüngerer Bruder Nevzat kam vier Jahre später in die Schweiz. «Wir haben dort wie in unserer eigenen Firma gearbeitet. Nie haben wir auf die Uhr geschaut», betont er. 1998, fast 20 Jahre später, war die Zeit für die Rückkehr nach Mazedonien gekommen. 23 000 Franken Startkapital sollten reichen, um ein Unternehmen aufzubauen, das heute nach eigenen Angaben einen Wert von vier Millionen Euro hat und 50 000 Quadratmeter Gelände umfasst. Das nicht ohne Hürden: «Bankkredite haben wir nicht erhalten. Und auf die Bewilligung für das Betonwerk warteten wir trotz Erfüllung aller Vorgaben drei Jahre», empört sich Nevzat Ramani noch heute. Am Rande der Legalität hätten sie die Betonproduktion aufgenommen und schliesslich über Beziehungen die offizielle staatliche Genehmigung erhalten.

Ziegelsteine der bekannten Art

 

2001 schlugen Granaten auf dem Firmengelände ein. Albanische Freiheitskämpfer und die mazedonische Armee gerieten aneinander, beschossen sich gegenseitig, Häuser brannten, einige Dutzend Menschen auf beiden Seiten wurden getötet. Das im August 2001 unterzeichnete Abkommen von Ohrid billigte der albanischen Gemeinschaft mehr Rechte zu. Einige Granatsplitter zeugen heute noch von den Auseinandersetzungen, zu spüren ist davon überhaupt nichts mehr. Die Maschinen des Betonwerks laufen auch Hochtouren, Kieselsteine werden nach Grösse sortiert. Auch die beiden Brüder packen an, wo es etwas zu tun gibt. Im Büro arbeitet der Nachwuchs der beiden Unternehmer.

Studium und eigene Physiotherapiepraxis

Eine ganz anders gelagerte Geschichte – in fast akzentfreiem Schweizerdeutsch – erzählt Sherif Xheladini.

Sherif Xheladini 

Der 42-Jährige sitzt in seiner Praxis an seinem Bürotischchen, trägt einen weissen Kittel, hinter ihm steht ein Massagetisch, im Büchergestell ist Fachliteratur auf Albanisch, Deutsch und Englisch aufgereiht. Aus der Stereoanlage klingt sanfte Musik. In einem Nebenraum hat er diverse Fitness-Trainingsgeräte installiert. «Ich wollte unbedingt meine Physiotherapieausbildung auf universitärem Niveau weiterführen. Das kann ich mir nur hier in Mazedonien leisten.» Am Morgen besuchen er und seine fünf Jahre jüngere Frau Minure die Vorlesungen im Fachbereich Physiotherapie an der medizinischen Fakultät in Tetovo. Am Nachmittag behandeln die beiden ihre Klienten – er die Männer, sie die Frauen. Eine gut einstündige Sitzung kostet 10 bis 15 Euro. Für das Ehepaar ein Bruchteil dessen, was sie in der Schweiz mit dieser Arbeit verdient haben. Für die Patienten mehr als ein Tagesgehalt – denn die Behandlung wird von der staatlichen Krankenkasse nicht finanziert. Trotzdem reisen einige sogar aus Serbien an, um sich bei Rückenproblemen und Gelenkschmerzen regelmässig behandeln zu lassen. Die Patienten schätzen die Professionalität, die Pünktlichkeit und auch die humorvolle und zuvorkommende Art von Sherif Xheladini – und natürlich seine Behandlungsmethode. «Dieser Erfolg freut mich sehr. Offenbar wird meine Qualität geschätzt», sagt er bescheiden. Dabei müssen er und seine Frau sich gegen 15 andere Physiotherapiepraxen in der Stadt behaupten. Viele seiner Kunden sind zwischen 18 und 25 Jahre alt und leiden unter Stress-Symptomen.

Sherif Xheladini begann an der Universität in Skopje Geisteswissenschaften zu studieren, kam 1988 im Alter von 20 Jahren nach Biel, arbeitete in einem Restaurant, später in der Migros, zuletzt als Rayonleiter. Seine Berufung war an einem anderen Ort: An der Migros-Klubschule absolvierte er eine eineinhalbjährige Ausbildung mit 15 Wochenstunden zum Physiotherapeuten, die er nun in Mazedonien vertieft – seine bisherige Schulung wird allerdings nicht angerechnet. 60 000 Franken hat er in seine Praxis investiert. Die meisten Geräte und Hilfsmittel hat er aus der Schweiz mitgenommen. In Blickweite hat er sich ein grosses Haus gekauft, wo seine Familie seit drei Jahren lebt. Vor allem seinen Kindern sei der Umzug schwergefallen. Sie vermissten die Schweiz, ihre früheren Freunde. Mit diesen sind sie oft via Internet in Kontakt. Über Satellit schauen sie deutschsprachiges Fernsehen.

Auch Sherif Xheladini vermisst die Schweiz manchmal, vor allem, wenn er sich über die mazedonische Bürokratie und die schlechte Wirtschaftslage ärgert. «Ich habe 20 Jahre in der Schweiz gelebt. Das ist die Hälfte meines Lebens», sinniert Sherif Xheladini. «Ich bin nirgends 100 Prozent zu Hause. Gleichzeitig habe ich zwei Heimatländer», sagt er nachdenklich. Er reist noch oft in die Schweiz, trifft Freunde, organisiert Material für seine Praxis. Ob er dereinst in der Schweiz eine Praxis eröffnet, lässt er offen. Als Doppelbürger könnte er das.
 
Aus dem personalblog:
06. September 2010: Missbrauch am Sozialstaat 
 

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Es lohnt sich, einen Blick ins Finanzblog von Stephan Marti zu werfen! 

 


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